Sonntag, 24. Dezember 2017

Jahresabschlussbilanz

Das zwanzigundvierte Kapitel vom Rice Newsletter Projekt vom 24. Dezember 2007. Alle Newsletter könnt ihr unter diesem Blogartikel via Paypal kaufen. Alle veröffentlichten Kapitel findet ihr hier.


„Heute ist der 24.12.2007. Rechnet mal die ersten beiden Zahlen zusammen. Wer hätte das gedacht. Zum Glück erwarte ich sehr selten was, aber der Januar Lätta hatte Recht. WAS passiert, hatte ich also ausnahmsweise mal richtig erwartet. Aber nicht: WIE. 2007 alter, es ist das Jahr in dem ich 36 geworden bin. Aber dazu später mehr.


Es fing gaaaanz oben an. Ein unvergleichlicher magischer Rausch voller Liebe und Energie. Wir hatten alle unsere 2006 Schelle bekommen und der Croupier hat den Generationenwechsel schon geahnt. Der riesige VW Bus voller Feierei raste in einem Höllentempo den Berg runter. Früher oder später musste er irgendwo gegenprallen. Wir waren ganz oben und im Nachhinein ist mir auch klar, dass es von dort nur eine Richtung gibt. Es konnte nur nach unten gehen. Die übliche Achterbahn, nur werden die Hügel immer länger und größer. Das hier ist der 24te Newsletter und ich hab immer drauf zugearbeitet. Mir überlegt was im 24ten drin steht. Für alle die es nicht wissen, die 24 steht für Perfektion. Man kann mit ihr alle beliebigen mathematischen Operationen durchführen und es bleibt immer grade. Selbst die einzelnen Ziffern kannst du rumschmeißen wie du willst, ein perfektes System kriegt man nicht kaputt. 24 ist höher als die meisten Glückszahlen und hat trotzdem all diese reinen Eigenschaften. Diese Zahl ist perfekt. Zu perfekt.

Nach und nach wurde mir immer mehr klarer, wie weit in diesem Punkt die Theorie von der Praxis weg ist. Theoretisch gibt es Perfektion, und das Streben dahin bewerte ich auch immer noch als positiv. Aber nicht mehr als das wichtigste. Das Ziel wird in der Realität nie erreicht. Es ist nicht mehr Kern meiner Überzeugung alle Staßen grade zu bauen.
Aber es ist ja erst Montag bzw. Januar. Da sitzen wir nun alle in diesem VW Bus und brettern die geile Lebenspiste runter. Zu dem Zeitpunkt merkt man natürlich noch garnix, weil man vom Rausch so geflashed ist. Mit Jamon und Aeon hatte die Köpi 7 jetzt auch ihre Haustiere und wird für mich immer mehr zu einem richtigen zuhause. Morgens gabs göshliches Frühstück und abends n Bond. Die Ruhe vor dem ersten Sturm wirbelt mehr Zeit von der Feierei zur Kultur. So langsam mit gehobenem Alter springt man doch schon seltener in die Spree. Aber da war ja noch was. Ach ja. China

Der VW Bus wurde zur Bahn und wir fuhren alle zusammen vollspeed. Rache is auch ne Energiequelle. Es wollte nicht aufhören aber es musste aufhören. Meine Güte wie oft hab ich geheult als mir das mehr und mehr ins Bewusstsein rückte. Ich danke euch für die Zeit. Braten, Weinisage, Frog Dog, Lachs und Kaninchen und Community und Liebe. Ich verabschiedete mich von meiner Heimat am Hamburger Schauspielhaus. Ich sollte dort schon bald mit anderen Augen andere Sachen sehen.
Aus dem Wüstenwind kam ein fetter Amischlitten ebenfalls mit vollspeed angedonnert. Wir sind irgendwo in der Nähe von Barstow am Ende der Wüste. Am 4. März um 5:30 morgens weckte mich der Soundtrack von „Fear and Loathing in Las Vegas“. Ich war mal mit meinem Papa in Las Vegas und fands richtig geil 5 Stunden nur grade aus zu fahren. Durch die Wüste in die blinkende, aus dem Boden gestampfte Gude Laune Stadt. Das war mein altes Leben. Jetzt ging es in die andere Richtung. 36 Stunden lang ostwärts um die Erde. Nach so vielen Tränen kommt die Zeit, an der man sich Mut machen muss und ich sagte mir: „A new day in a new life“.

Da bin ich nun von der einen Maurer zur anderen und warte auf meinen Kulturshock. Aber das Wort ließ noch eine Weile auf sich warten. Kein Wunder, an gute Lebensbedingungen gewöhnt man sich gerne und schnell. Oh man ging es mir da gut, ich hab die Lebensqualität in vollen Zügen genossen. Ich habe köstlich, viel, interessant und günstig gegessen. Ich habe mich ewig lange in die Teehäuser gesetzt und gelesen, philosophiert, reflektiert, entspannt und die Kultur und das Bier nur so in mich reingeschaufelt. Mit Flip-Flops und Unterhemd durch die Straßen einer entspannten Millionenmetropole geradelt. Irgendwann kam sogar bei mir eine westliche Shoppingader durch und ich habe fast dekadent gelebt. Der Bart wurde immer länger und wir wurden fast wie Stars behandelt. Diese Grenze hatte ich schon mal genascht. Ein bisschen erschreckend allerdings, dass hier jeder in die Richtung strebt, die ich doch ablegen wollte. Die Straßen waren hier auch grade und alles blinkt. Hm, das kann’s doch nicht sein.

Ich habe die beeindruckenden Sachen gesehen, für die das Reich der Mitte weltweit bekannt ist. Ich habe allerdings auch genügend Zeit und Raum gehabt alles drum herum zu sehen. Der große Buddha von Leshan, das größte Gebirge der Erde mit seinen 7000ern, den markanten Emei-shan und das Tal der sieben tibetanischen Dörfer. Die größte Wohnmetropole der Welt, den dritt größten Fluß durch die berühmten drei Schluchten zum viel diskutiertem Damm. Ich habe allerdings auch den ältesten und unzählig viele kleine Dämme gesehen. Ich habe die Sprache mit Hilfe der abstrakten Schriftzeichen gelernt und meinen chinesischen Namen angenommen. Die Geschichte hinter den Zeichen hat mir das Gefühl gegeben diese Kultur mehr zu verstehen. Neben dem Reisen habe ich dort auch richtig gelebt. Ich habe mich integriert, habe jetzt chinesische Freunde und hab mit ihnen zusammen Zeit verbracht. Ich habe an meinem 36ten Geburtstag Weihnachtsbäume aus dem Fenster geschmissen und bin als Vampir durch Hotels gesprungen. Fast überheblich reagier ich jetzt auf die idiotische Googlehalbwissenmedienwelt.
Neben der neuen Kultur habe ich auch eine alte kennen gelernt. Meine eigene. je weiter weg von der Heimat desto mehr verdeutlicht sie sich. Mir sind so viele Eigenschaften aufgefallen und ich hatte die Zeit sie nachzuverfolgen. Ich kann nachvollziehen, warum ich bin wie ich bin. Organisation, Verlässlichkeit, Kreativität, Käse und sogar ein bisschen Disziplin. Mir ist klar wo ich herkomme und identifiziere mich auch noch damit. Seemannsblut und Spiritualität. Europa, Schlaaand, Norden, Hamburg und der Hafen. Wow ich hab die erste fette Frage beantwortet. Ich weiß wer ich bin.

Na dann auf zur nächsten. Wo will ich hin. Viele vor mir haben die Antwort auf die zweite Frage im Ausland gefunden. Für mich sollte es besonders symbolisch werden. Ich habe in den Jahren zuvor genug ausprobiert. Langsam musste sich mal eine Richtung entwickeln. Dafür habe ich haufenweise Informationen über mich selber gesammelt. Ideen, Systeme, Sprachmemos, Stärken, Schwächen, WIN-WIN Situationen und falsche Lösungen. An irgendeinem schönen Pool-Tag hab ich am Abend für uns einen Shake gemacht. Gemixt aus dem berühmtem Wawatoeis, ein bisschen Milch und vielen Mangos. Die Farbe des Shakes war so hübsch, wenn ich mal ein Haus habe, will ich das in dieser Farbe streichen lassen. Mangos sind an sich schon mal ne WIN-WIN Situation. Lecker und gesund. Ich habe die unzähligen WIN-WIN Situationen die ich bereits gesammelt hab, mal an die Mango angehängt um eine WIN-WIN-WIN-WIN….. Situation zu kreieren. Ich packe die geistige Reise jetzt mal symbolisch in eine echte Reise. Ich war in der Mitte von China am Rande des Himalajas. Ich als Hamburger Jung bin ins Boot gestiegen und den Jangtse Flussabwärts gefahren. Dieser mündet bei Shanghai in den Pazifik. Dort habe ich dann auch ne weile gelebt und meine Antwort gefunden. Am 07.07.07 war Live Earth in Shanghai und Hamburg. Am 24.07.07 bin ich sprichwörtlich „Back to the Ocean“ gefahren und sah im Jangtse Mündungsdelta die Insel Chongming. Ming ist das erste Zeichen meines Vornamens. Die Insel soll in Zukunft für Nachhaltigkeit stehen und mein Name auch.

Zum Schluss wurde ich noch mal sensibel. Ich konnte dem Druck nicht mehr standhalten und China hat mich genervt. Es war zu viel und ich wollte endlich wieder nach Hause. Dorthin wo alles ist wie immer. Da wo sich nix ändert. Irrtum! Berlin ist anders, Mediaspree steht da, Ballermanneasyjetravertouristen rennen über die Warschauer Brücke und die Community ist zerfleddert. Alles kaputt, nein sie haben die KÖPI geräumt. Das darf nicht wahr sein. Mir war alles fremd. Scheiße vielleicht bin es nur ich, der sich geändert hat. Oder viel schlimmer, beides. Der Bart ist tatsächlich im Tresor gelandet. Ich steh vor einem Trümmerhaufen. Wie soll ich das akzeptieren? Ich schreie KÖPI bleibt. Trotzig schrei ich, es sind eure Wünsche. Wünscht euch eure Wünsche. Ich war gelähmt. Das ist ein Kulturshock. Niemand kennt mich mehr. Ich bin jetzt 36. Ich bin gelähmt.

Weg, bloß weg. Wieder flüchten. Ja ja, als ob das so einfach wäre. Ist es natürlich nicht, aber ich brauchte Ruhe. Ich bin auf dem Mittelmehr rumgeschippert und war kein bisschen da. In meinem Gepäck waren so viele Probleme. Viele davon waren Zwickmühlen. Es kam mir vor wie ein riesiger Berg von Problemen den ich oft gar nicht mehr sehen wollte. Ich kam mir vor wie eine Waage die keineswegs das Gleichgewicht findet, sondern unter der Last einfach zerbricht. Ich habe mich über das Mittelmehr lustig gemacht und meinte: ha, ich kenn den Ozean. Wie überheblich. Ich habe zum Glück sofort die zweite Schelle bekommen. Es geht nicht um Oberflächlichkeit. Scheiß auf die Quantität, ich will jetzt Qualität. Schnell zurück in die echte Heimat. Da steh ich nun wieder am Schauspielhaus. Und was seh ich da? Ming. Ein Chinarestaurant welches das Ming Zeichen in seinem Namen trägt. Mein Name. Der der für Nachhaltigkeit stehen soll. Qualität gibs nur langfristig. Den höchsten Level von Glück Mister Kierkegaard. Geat alter ich will mit dir in 100 Jahren noch am Teich sitzen und Flens trinken. Mama, Papa, Oma. Hey, schön euch kennen zu lernen. Ich weiß jetzt wer ihr seid weil ich weiß wer ich bin. Swästa, das ist so schön, ich kann mich immer auf dich verlassen. Und YT. Ich würde gerne den Rest meines Lebens mit dir Super Nintendo spielen.

Ich bin zurück in Berlin. Ich hab den Problemberg souverän und egoistisch abgebaut. Ich blick objektiv auf China zurück und hab den Kulturshock beendet. Danke China ich liebe dich. Ich hab den Rest meines Lebens übrig und weiß genau was ich damit anfangen will. Ich studiere Marketing und Nachhaltigkeit um die Rettung der Welt zu vermarkten. Letztes Jahr waren wir Weltmeister der Herzen, diese Jahr erst Handball, dann Frauenfußball und jetzt auch noch Weltmeister im Weltretten. Der Himmel ist blau, das Tuborg Weihnachtsbier ist kalt gestellt. WeHelp und Chile stehen in den Startlöchern. Ich mach in Canada das Licht aus. Ich habe noch nie so viel geweint wie in diesem Jahr, es hat sich gelohnt, in 2008 geht’s laaaaaaaang Berg auf.

In diesem Sinne wünsch ich euch merry Kreuz-mas.“

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