Dienstag, 24. Oktober 2017

Ich check 2.0

Das zwanzigundzweite Kapitel vom Rice Newsletter Projekt vom 24. Oktober 2007. Alle Newsletter könnt ihr unter diesem Blogartikel via Paypal kaufen. Alle veröffentlichten Kapitel findet ihr hier.


"Yeah, 100% Steigerung. Ich check wieder was. Ich schmecke nicht nur die Mango, ich bin mir auch bewusst, dass ich die Mango schmecke. Danke China. China hat mir geholfen die Frage zu beantworten die sich sonst niemand stellt. Ich weiß jetzt wer ich bin und, noch viel wichtiger, ich weiß wo ich hingehe. Ich hab ein Ziel. Zwar noch nicht so lupenrein greifbar, aber ich weiß definitiv die Richtung. Den Berg von dem ich gesprochen hab, gibt’s wirklich. Ich bin froh ihn weiterhin zu sehen und zusätzlich kann ich mit denen mitfühlen die ihn nicht sehen. Aber mein Leben ist ein ganzes Set und kein einzelner Track.

Ich habe geschrieben, dass ich noch nicht zu Ende gedacht hab. Und als ich das aufgeschrieben habe war es ausm Kopf weg. Ich habe den Sinn von Schreiben verstanden, als es alarmierend gefährlich wurde.  Ein Glück hat mich das strukturierte Leben gepackt, an Schreibtisch gesetzt. Zimmer aufgeräumt, den eigenen Kopf aufgeräumt. Den Salat gegessen der da drin war. Ist ja schließlich gesund. Hat sich auch gut angefühlt. Ich bin zurück unter die O2 Werbetafel, wo der Schock angefangen hat, um ihn auch dort zu beenden. Ich bin mir bewusst.

Die Nachbarin 2.0 sagt Ziellose sind am glücklichsten und Olch wird Audi übernehmen. Ich will die Welt retten. Wie? WIN-WIN-WIN-WIN…"


Fangen wir mal von der Mitte an. In dem Bild seht ihr eine vier Meter lange Collage. Es ist mein chinesischer Name den ich von meiner Lehrerin bekommen habe. Die ersten zwei Zeichen sind der Nachname und die zweiten zwei sind mein Vorname. Allein vier Zeichen zu haben ist schonmal sonderbar. Normalerweise sind es drei da der Familienname meist nur einer ist. Und auch sonst ist alles besonders an diesem Namen und dem Artwork. Ich hatte schon bei Goethe und Deutschland erklärt, das zunächst Silben ausgesucht werden die entfernt ähnlich klingen. Bei Maurice Stanszus wäre das dann MingRui SiMa oder eben umgekehrt SiMa MingRui (司马明瑞). Die Ähnlichkeit liegt jetzt nicht sofort auf der Hand aber nach dem dritten und vierten mal checkt man dann was die Chinesen für "ähnlich" halten. Und dann wird die Silbe mit ähnlichem Klang gewählt, die auch inhaltlich am besten passt. Und mein Name besteht dank meiner scharfsichtigen Lehrerin natürlich nur aus Lobpreisungen wie: brilliant und bright und königlich. Das erste und letzte Zeichen haben eigenständig keine Bedeutung oder zumindest keine die man einfach erklären kann. Aber die Kombi ist auf jeden Fall so gut, dass noch heute Chinesen begeistert staunen wenn sie meinen Namen hören. Es gab auch mal einen wichtigen Heini der ähnlich hieß usw. 

Nun ja nachdem ich meinen Namen dann nach ersten mürrischen Widerständen angenommen habe, wollte ich ihn verwenden. Und da der kompliziertere Weg über die Zeichen mir, als bildhaftem Lerner, extrem geholfen haben, China und seine Sprache zu verstehen, bin ich immer mehr in die Kunst der Kalligrafie eingetaucht. Ähnlich wie es bei uns verschiedene Fonts gibt, gibt es natürlich auch unzählige Arten die chinesischen Schriftzeichen zu formen. Und so habe ich angefangen, immer wenn ich eines der Zeichen von meinem Namen irgendwo gesehen habe, es zu fotografieren. Das erst Zeichen Si (司) kommt auch in GongSi vor, was Firma bedeutet. Sprich den sieht man sehr häufig und fast überall eben auf Firmenschildern. Der zweite Character Ma (马) bedeutet Pferd und ist auch oft und einfach zu finden, da die Tiere eine wichtige Symbolik in China haben. Der dritte Ming (明) ist zwar auch beliebt aber schon seltener zu finden. Er kommt zum Beispiel in "morgen" vor. MingTian wobei Tian der Himmel ist und der kleine geschlossene Kasten mit einem Strich drin die Sonne ist und der große offene mit zwei Strichen der Mond. Und zwischen dem morgigem Himmel liegt halt einmal Sonne und einmal Mond (dann ist morgen). So erklären sich über die Zeichen viele sprachliche Sachen. Nun gut und Rui (瑞) ist ganz seltsam und selten. Die einzelnen Elemente sind König, Berg und sowas wie Schneebart. Zusammen ergibt das entweder garkeinen Sinn oder einen so großen, dass es keiner erklären kann. Aber er ist toll und wie gesagt leider sehr selten. Da dann aber irgendwann alle wussten, dass ich meine Namenszeichen immer gesucht habe, haben mir Leute mitgeholfen. Und es war immer ein Highlight wenn wir ein Rui gefunden haben. Eigentlich kommt es aber nur in Eigennamen vor und nichts generischem wie Pferd (da müsste man einfach zu einem Tierspielzeugladen gehen und man findet ganz viele Ma's). Und ich habe dann wirklich mal rausgefunden, dass aufgrund der zentrierten Wirtschaftsstruktur von China eine Häufung von Rui's auftreten könnte. Oft Ist es so das Regionen oder Städte sich auf bestimmte Wirtschaftszweige konzentrieren. Eine Stadt macht z.B. nur Rüstungsindustrie, die andere nur Handys. Und auch innerhalb der Stadt gibts dann für Konsumenten ganz klare Stadtteile wo es nur Elektronikläden gibt oder Klamotten. Und da gibt es dann die Straße nur mit Läden für Tastaturen oder Babyschuhen. So und nun gab es eine Stadt namens Ruifang oder so, die Drucker herstellte. Ich bin zwar nicht dahin, aber dann in Shanghai auf eine Fachmesse wo es eben um Printmedien ging. Und da gab es die Halle mit den Druckerherstellern und die Hälfte von denen kam aus Ruifang und hatten das auch präsent dick in ihren Logos. Jackpott für mich um meine Rui Fotodatenbank an die hundert Fotos anzugleichen, die die anderen Zeichen schon angesammelt haben.

Das ist ja schon bekloppt genug. Aber dann habe ich wärend meines Kulturschocks gedacht ich zauber jetzt mal eine maximale Kollage mit all den messiartig angesammelten Flugtickets, Eintrittskarten und sonstigen emotianalen Wert(los)gegenständen die man so anhäuft. Jedes Zeichen ein Quadratmeter groß, negativ ausgewählt von unterschiedlichen gesammelten Fotos (wo ich jetzt auch wieder eine Geschichte zu erzählen könnte). Und die ganzen Flyer chronologisch angeordnet basierend auf der so genannten Stroke Order. Angefangen mit Chengdu und meinem Vornamen bei dem kleinen Kasten oben links, Strich nach unten. Die Stroke Order ist eine klar festgelegte Reihenfolge nachdem jeder Strich in der Kalligrafie auf den nächsten folgt. Der Nachname ist dann alles was sich in Shanghai angehäuft hat. Dieses Artwork hat für mich natürlich die intensivste Bedeutung, da all die Erfahrungen mich formen. In meinen Namen einfließen und immerwieder wenn ich es anschaue (es hin lange an meiner Wand) ein Assoziationsfeuerwerk auslösen. Und darum ging es in diesem Newsletter auch. Die Reise nach China war so intensiv. In meinem jugentlichen Überschwang habe ich gleich in Superlativen gesprochen, die aber auch zutreffen. Ich habe auf dieser Reise sowohl mich selbst entdeckt, als auch mein Ziel. Oder zumindest eines welches mein Antrieb für über zehn Jahre werden sollte. Das Artwork und das gleichzeitige Schreiben darüber haben mir geholfen diese schlüsselartige Transformation bewusst zu machen. Und das schon in dem Moment in dem sie passiert ist. Vom verwirrten ich check 1.0 im Monat vorher, aus dem Kulturschock heraus gekommen mit zwei Antworten die manche Menschen ihr ganzes Leben lang nicht finden. Das war schon ganz geil. Aber später mehr dazu.In jedem Fall empfehle ich den Salat im Kopf wirklich aufzuessen. 


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