Freitag, 24. März 2017

Von Mauer zu Mauer

Das zehnfünfte Kapitel vom Rice Newsletter Projekt vom 24. März 2007. Alle Newsletter könnt ihr unter diesem Blogartikel via Paypal kaufen. Alle veröffentlichten Kapitel findet ihr hier.


Im Landeanflug auf Shanghai sieht man eine bis zum Horizont reichende Landschaft die von Kanälen durchzogen ist. Schnurstracks grade und angeordnet in großen Kästchen. Wenn nicht auf der einen Seite der Pazifik wäre, würde das wohl noch ein paar tausend Kilometer weitergehen. Weiter nach Chengdu. Als ich mit meinem Papa in Las Vegas war fand ich diese blinkende Welt toll. Sie war ja auch so gut inszeniert, dass ein kleiner Junge die Fehler nicht sehen kann. Aber hier blinkte alles noch viel mehr, und doller, und auch irgendwie dreckiger und hässlicher. Diese Megametropole von der noch niemand vorher was gehört hat blinkt an jeder Ecke. Oh und jetzt verstehe ich wenn sie sagen, dass sie eine Stadt am Reisbrett planen. Man ziehe ein paar große Kreise und unterteilt die dann mit graden Strichen. Fertig ist die Heimat für 11 Millionen Menschen. Und wie sieht es mit den Bedürfnissen dieser Menschen aus? Der Slogan lag nahe. Es gab haufenweise Möglichkeiten, doch die hier schien mir am erfolgreichsten. In beiden Ländern muss man nicht groß erklären um welche Mauer es sich handelt. In beiden Ländern ist es einfach „die Mauer“. Als ich abgereist bin konnte ich die East Side Gallery noch aus meinem Badezimmerfenster sehen und in China angekommen lernte ich recht schnell das ich die andere gar nicht sehen will. 

Zur Berliner Mauer habe ich eine schöne Geschichte. Auch sie ist ein Symbol für das was ich hier sagen will und schon gesagt habe. Meine Generation kann sich überhaupt nicht mehr an sie erinnern. Trotzdem wohne ich an diesem historischen Mittelpunkt der Weltgeschichte und setze mich mir der bunt angemalten Wand vor meiner Tür auseinander. Jeden laber ich voll mit unserem tollen Blick aus dem Badezimmer oder der Küche, auf die Spree. Sofern die paar Bäume auch keine Blätter haben, kann man das längste noch erhaltene Stück Mauer sehen. Einmal sah ich genau diesen Blick in einer Kunstzeitschrift. Eine Fotographie dieser Aussicht als halbseitige Werbeanzeige. Ich wusste nicht richtig für was, denn es stand nur eine email drunter. Letztendlich war es mein Nachbar der eine beachtliche kleine private Fotokunstsammlung hat. Als wir zusammen die Bilder anschauten erklärte er mir die Hintergründe und wir besprachen jedes Werk genauestens. Ein recht großes Foto zeigte eine Längstotale eines Louvresaals. Der Saal war ohne Menschen doch im Verhältnis zu den Sitzbänken sahen die Gemälde riesig aus. Im Verhältnis zum Raum sahen die Gemälde jedoch winzig aus. Diese nüchterne Art der Fotographie war damals, als ich als Location Scout gearbeitet habe ein Muss. Den Raum einfach ganz trocken und grade in seiner Totale erfassen. Alles schön geometrisch und keine künstlerischen Feinheiten. So bilden die Gemälde an der hinteren Wand und die an den Seitenwänden eine horizontale Linie die von der Mitte nach außen Breiter wird. Wenn man sich als geschulter Betrachter nun auch auf eine Position stellt die diesen mathematischen Ansprüchen gerecht wird, sieht man das wahre Kunstwerk. Auf dem Bild, genau auf der Linie der Gemälde, spiegelt sich die Vollgesprayte Berliner Mauer die ebenso grade genau hinter mir liegt. Die Kunst zweier Städte. Die Gesichter der beiden wichtigsten Europäischen Metropolen. Paris mit seinen edlen, sauberen, historischen, klotzigen, protzigen, plüschigen Werken und im direkten Angesicht, Berlin mit seinen auf betongrau, vollgesprayten, kreativen, dreckigen, geilen, wechselnden, überdeckenden, Straßenkunstwerken. Die heutigen Picassos findet ihr auf der Straße. Berlin ist schon geil.


Nun ja das ist die eine Mauer die es zum Glück nur noch symbolisch gibt und die für meine Generation auch nichts weiter als eine symbolische Wirkung hat. So grade habe ich das was diese dreckige Wand verkörpert in mein Herz geschlossen und just in diesem Moment sitze ich im Flieger in die komplett falsche Richtung. Die andere Mauer habe ich nie gesehen weil man einen ganz schrecklichen Abturn gegen alle Touristischen Aktivitäten in diesem Land bekommt. Alles ganz große Gelddruckmaschinen die voller aufgesetzter Make-Up scheiße nicht weiter weg sein könnten. Wenn ich mit meinem Blick schon hinter die Kulissen schauen kann, dann sollte man keinen Aufbausch mehr servieren, ansonsten macht man selbst tatsächlich schöne Sachen kaputt. Doch ich brauchte die Mauer nicht zu sehen um sie zu spüren. Ich will hier keine Abhandlung über China halten aber hier wurde ein gänzlich anderer Weg eingeschlagen. Die Ming Dynastie war ähnlich gut unterwegs wie die Europäer. Da man aber hier anstand hatte und im Vorfeld die Fehler der Kolonisation vermeiden wollte, zogen sich die Jungs zurück, zerstörten alle Unterlagen, machten einen Kreis um ihr Reich und sagten das hier ist eh der Mittelpunkt der Welt. Ob das stimmt oder nicht ist mir vollkommen egal, nur will ich sagen das sich dieser Kulturkreis innerhalb der Mauer so einige Jahrhunderte vollkommen eigenständig entwickelt hat. 

Bis heute. Jetzt sickern die ersten Ideen durch. Wie immer ist dass das US-Haus mit dem Vorgarten, dem Auto vorm Haus, den Spielenden zwei Kindern und dem mathematisch korrekt gemähtem Rasen. Keine Sorge so siehst da bis jetzt erst in den Köpfen aus. Das kann sich zum Glück noch ändern und ich habe stark die Hoffnung, dass einige bescheuerte Kulturstufen ausgelassen werden können. Nur als ich da war, waren grad mehrere hundert Millionen Menschen stark auf dem Weg Richtung 24. Scheiße, das passt mir jetzt nicht so in den Zeitplan. Aber da komm ich später noch mal drauf. Als ich diesen Text geschrieben habe war ich noch viel zu durcheinander. Kurz nachdem ich ihn rausgeschickt und wieder gelesen habe dachte ich, was für ein Blödsinnsgelaber. Wenn ich ihn dann nach ein paar Jahren noch mal lese, denke ich bei diesen und anderen Texten, wow das sind die besten. Ich habe nur so abschreckende Esoterikwörter und Sprechweisen benutzt. Aber unserer verstörten Gesellschaft einfach einen faulen Panda vorzusetzten. Simpler geht’s doch gar nicht. 



In der Welthauptstadt des Panda gibt es diesen riesigen Zoo ausschließlich für alle Panda Arten. Doch letztlich sind alle gleich genial. morgens zwischen 8 und 9 toben sie ein bisschen. Das sieht dann süß aus und deswegen ist ihr Image auch so unendlich gut. Und den Rest des Tages wird dann nur noch faul in einer Ecke rumgelegen und Bambusstäbe in sich rein schaufelnd gechillt. Ab und zu mal umdrehen und einen lustige Laut von sich geben und die dummen Menschen freuen sich zu Tode. Genial diese Jungs. Eine Stunde arbeiten und 23 Stunden schlafen, relaxen, fressen, kacken und lässig dafür sorgen, dass das Image oben bleibt. Diese Tiere sind zu Recht so krass beliebt. Nicht so wie ein Frosch oder kleine kläffende Hunde. Pandas mag jeder von Harz 4 bis Nobelpreisträger. 

Aber wo ist jetzt die Verbindung? Für mich sind diese Bärchies und eigentlich auch alle anderen Tiere optimale Beispiele für Natürlichkeit. Die, die die meisten Menschen in unserer Welt verloren haben. Die lieben Chinesen sowieso alle und bei uns kommt es nur ganz selten vor das jemand unberührt von Gewalt bleibt. Die Gewalt die sein Bewusstsein zerstört. Die schiefen Blicke, die schadenfrohen Witze in der Schule, die überzogenen Erwartungen der anderen. Wenn wir höfflich sind, sagen wir nicht die Wahrheit und sind unnatürlich. Wenn wir nicht wissen wie höfflich geht werden wir durch die Sanktionen unnatürlich. Wenn wir uns unnatürlich verhalten, werden wir sanktioniert und werden noch unnatürlicher. Und sanktionieren tut jeder. Mit Worten, Blicken, Gestiken, Mimiken, mit der Art wie man geht, wie man spricht und in den seltensten Fällen auch mit echter verbaler oder sogar körperlicher Gewalt. Unter dieser Ausgangssituation würde ich es fast für unmöglich halten da unbeschadet durch zu kommen. Ich weiß auch nicht wie die, die heute natürlich wirken das geschafft haben. Am besten sollte man eine Strategie fördern um wieder dahin zurück zu kommen. Sich wieder ein bisschen erarbeiten, sich wie ein Tier benehmen zu können. Problematisch nur das man dann schnell wie sie, eingesperrt wird. Da läuft irgendwas falsch und das hat mich hier beschäftigt. Nicht weil fast alle Chinesen unter dieser Sozialkultur leiden, sondern weil ich im direktem Umfeld von zwei extremen Umgeben war. Man mag fast durchdrehen, wenn man sich wie ich zu schnell an sein Umfeld anpasst. Wenn das Umfeld dann mit zwei verschiedenen Polen auf mich Wirkt bin ich froh, nach wie vor im Mittelweg zu bleiben. Nicht der goldene Mittelweg sondern der, der im Vergleich zu allen anderen am wenigsten schlecht ist. So schrecklich unnatürlich, dass man keine einzige Handbewegung mehr hinbekommt, ohne etwas zu zerstören wäre unvorstellbar unerträglich. Doch leider ist die Gesellschaft auch noch nicht bereit für Pandas in der Arbeitswelt. Eine Stunde arbeiten in der das positive Image so doll aufgeladen wird, das die anderen 23 Stunden gefurzt und gerülpst werden kann, ist noch nicht gängige Arbeitsmethode in den Unternehmensberatungen. Ein Glück macht Google erste Testversuche mit Pandas. Den Erfolg kopieren hoffentlich schnell genug so viele Leute damit die Chinesen die Kopie der Kopie kopieren können und das mit dem Gartenzaun überspringen. Ich hatte inzwischen schon längst die Schnauze voll von der 24. Aber anstatt sie auszuspucken, hab ich noch ein bisschen drauf rumgekaut und dann noch ein bisschen gegessen. Welches bisschen das ist sag ich euch in Shanghai. Jetzt kommt erstmal wieder besoffen.

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