Freitag, 24. Februar 2017

Its just a perfect day

Das zehnvierte Kapitel vom Rice Newsletter Projekt vom 24. Februar 2007. Alle Newsletter könnt ihr unter diesem Blogartikel via Paypal kaufen. Alle veröffentlichten Kapitel findet ihr hier.

Ja ein paar Monate vorher war ich noch das tollpatschige Neugeborene, was sich den Brei nur so ins Gesicht klatscht und jetzt fehlen mir schon wieder die Zähne und die grobmotorischen Fähigkeiten. Der Brei würde wieder im Gesicht landen, nur mit dem Unterschied das ich jetzt alt und weise geworden bin. Äußerlich betrachtet ist dies unmöglich aber hier wird wieder auf die Lücke zwischen Lebensjahren und Erfahrung angesprochen. Beziehungsweise das diejenigen mit vielen Jahren und wenig Erfahrung verbittert überheblich wirken, wenn sie wirklich nichts vorzuweisen haben außer diese Zahl. Und ein in die Lehre starrendes "Ja Ja Ja damals" heraus leiern. 



Ich behaupte ich hab mit meinen popeligen irgendwas-und-zwanzig Jahren mehr Lebenserfahrung als 60% der Weltbevölkerung. Bis Ende Zwanzig könnte ich 90% überholt haben. Klar gibt es noch die magischen 10% für die man wirklich lange braucht. Oder die Ereignisse in den 10% die es für mich ja gar nicht mehr geben kann. Ich verlange doch nur die Gesamtverhältnisse mal von oben zu sehen und wie bereits erwähnt wäre das Alter dann so irrelevant wie die Hautfarbe oder das Geschlecht. Oder es sollte wenn es geschieht auf die gleiche diskriminierende Ebene gestellt werden. Das mit dem Gleichheitsgedanken bedarf noch einigen Feinschliff. Aber ich wollte hier noch mal auf dieses Generationendings zu sprechen kommen. Da sind also diese Dinge von denen uns unsere Eltern und Großeltern erzählen und die wir zwar verstehen können, aber nicht fühlen können. Die meisten wollen wir auch gar nicht erst verstehen aber dem stelle ich mich nicht quer. Man kann noch so gut über Krieg, Hunger, Revolution, Woodstock und die 68er erzählen, ich fühle nichts. Ich weiß überhaupt nicht was Krieg ist, ich meine das was auf N24 über den Irak läuft ist nicht greifbar. Und ich hatte nie den intensiven Geschmack von Brot gespürt weil ich niemals drei Tage lang hungern musste. Ich will hier gar keine Bewertung rein bekommen ob das gut oder schlecht ist. Ich will nur die Richtung hervorheben. Wo geht es denn dann hin. 

So wie unsere Großeltern von Kriegen erzählen werden wir unseren Enkeln wahrscheinlich vom Feiern erzählen. Denn das ist es womit wir unsere ganze Jugend verbracht haben. Feiern. Nicht mehr nur Geburtstag feiern. Abschied feiern, Rückkehr feiern, Dienstag feiern, sich als alte Leute verkleiden und feiern, kurz gesagt einfach feiern das man lebt. Ich meine vor uns haben sie auch schon gefeiert aber Woodstock und die goldenen Zwanziger waren da eher Make Up auf einer schrecklichen Kulisse. Möglicherweise ist unsere Globale Welt auch noch schrecklich oder vielleicht sogar die Schrecklichste, aber davon kriegen wir gefühlt ja gar nichts mit. Inzwischen hat jeder Harz 4 Haushalt einen Flachbildschirm rumhängen. Wo sind die Probleme? Es gibt keine Probleme mehr. Nein viel besser, wir tauschen das Wort Probleme, mit dem Wort Bedürfnisse. Ich habe es schon gesagt aber ich werde es so lange wiederhohlen bis halt auch die Harz 4 Jungs auf die Stufe folgen von der ich spreche. Oder was noch viel besser wäre, wenn alle Chinesen und Inder gleich eine Stufe überspringen könnten. Erst kommt der Hunger, eventuell die Drogen oder lebenserhaltende Medikamente. Gut haben wir alles. Dann die Sicherheit, also kein Krieg und am besten noch Pflege-, Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-, Hausrat-, Brandschutz- und Klimawandelschadenschutzversicherung. Bis auf die letzte haben wir da also auch schon zur Genüge. Dann kommen ganz lange Autos, Flachbildschirme, große Häuser und halt alles was in den Werbeblöcken läuft. Also all die Sachen die uns die Freu(n)de machen die wir vorher nicht hatten. Im Volksmund nannte man das jahrelang Wohlstand. Ich würde es als quantitativen Wohlstand beschreiben, denn wer beim dritten Auto noch nicht gemerkt hat das es irgendwie anders weiter nach oben geht, bleibt auf der Strecke. 

So einige Midlifecrisis unserer Papas sind in dieser simplen Sackgasse hängengeblieben. Na ja und diese Wohlstandszahl ist nun ziemlich lange kontinuierlich gestiegen. Über die Falschverteilung lässt sich streiten, doch wenn ich den Harz-4 Flachbildschirm symbolisiere, sollte deutlich werden das wir schon längst an der Schwelle stehen. Also was heißt längst, eigentlich auch erst seit diesem Jahrtausend, also unsere Generation. Ich würde das Feiern als Übergangs Symptom sehen. Es ist irgendwie auf der Schwelle oder im Zwischenraum von Materiell und Qualitativ. Manchmal könnte das Arme-rumzappeln schon zur Selbstverwirklichung zählen. Der Schampus ist aber noch die Stufe darunter. Auch diese Zwischenstufe kann einige aufhalten und so ist grade Berlin ein wunderschönes Beispiel für das Feierei-Monster was eine Sinn suchende Generation einfach verschluckt. Wenn wir also unsere Enkel mit diesen Geschichten quälen, sind die schon längst weiter. 

Was für eine geniale Vorstellung das die alle damit beschäftigt sind irgendwelche Bilder zu malen, in schönen benutzerfreundlichen Häusern, nein gar sauberen Städten wohnen, die Maschinen machen alles und sie lesen nur noch Nietzsche, Goethe und Kant. Sie denken die angefangenen Sachen weiter und sind krass zufrieden damit die Welt zu retten. So als Hobby. Feiern tun sie wohl auch noch ab und zu, allerdings nicht so verbissen wie wir. Vollgekokst immer der letzte sein der geht. Am besten gar nicht gehen denn wer am längsten tanzt ist am coolsten. Lächerlich. Sie werden uns nicht verstehen, wir werden aneinander vorbeireden. Das einzig coole womit ich als Opa kommen könnte wäre die alte Leier, das ich für das gekämpft habe was heute die Basis eurer Lebensqualität ist. Aber wann danken wir denen die für Demokratie gestorben sind. Wir gehen nicht wählen wenn es regnet. 

Ich sollte behaupten, dass ich das hier nicht mache weil ich ein Lob aus der Zukunft haben will, aber so ist es. Ich will das meine Enkel die seltene Sorte von Mensch ist, die wenigstens versuchen zu verstehen das es anders war. Sie werden es nicht fühlen können aber vielleicht werden sie eine Ahnung davon bekommen wie es war die Probleme unserer Zeit zu lösen. Nein wir sollten diese Begriffsbenutzung endgültig ändern. Wie schwierig es war auf der Bedürfnispyramide nach oben zu klettern. Wie vielen Leuten ich mühsam klar machen musste dass viel Arbeiten um viel Geld zu verdienen nicht das Maß aller Dinge ist. Es ist nur das zweit beste Level was wir erreichen können. Gefährlich nur wenn man kurz vorm Ziel in einem System gefangen ist welches einem die Energie raubt um den letzten Schritt zu machen.

Inzwischen hatte mein Newsletter einen beachtlichen Bekanntheitsgrad und dieser hier war ganz besonders wichtig. Nie werde ich den Moment vergessen wie ich im ICE von Berlin nach Hamburg mitten im Gang auf dem Bierkasten stand und diesen Text laut vorgelesen habe. Umgeben von all meinen Hamburger und Berliner Freunden. Ach was rede ich da, von einer ganzen Generation von weltweit zusammengeschütteten Kids die die höchsten Glücksgefühle beim Feierei brüllen hatten. Es ist nicht perfekt aber in diesen Momenten fühlt man das nicht. In diesen Momenten ist es besser als perfekt. Es ist harmonisch und warm um einen herum. Kein Wunder das man diesen Moment ausdehnen will. Geht aber nicht. Jedenfalls nicht so. 

Genau das möchte dieser Songtitel wohl auch ausdrücken. Its just a perfect day hatte ich in Barcelona zweimal gehört. Wow die Nacht davor war wie aus dem Bilderbuch. Meine Bilder hatte ich leider ausgekotzt, aber der Kater hielt mich in diesem Sofa. Dieses Sofa in dieser Wohnung. Ich kannte die Leute in der Küche nicht. Zwei Schwule Brasilianer, ein Tscheche, eine Berlinerin, eine Belgierin, eine Spanierin. Man weiß es nicht, aber sie spielten in der Küche nebenan denn ganzen Tag lang all ihre Lieblingslieder. Es war wohl das beste Set was ich je gehört habe. Und eines der letzten Instrumente zu denen ein DJ greifen würde wäre dieses. Er sollte dieses Instrument ganz behütet anwenden, ich würde sogar sagen er sollte es nur einmal in seinem ganzen Leben anwenden. Im gleichen Set einen Track zweimal spielen. Ein unbeschreibliches Gefühl welches ich kleiner Junge sicher nicht beschreiben kann. Dieser Kater, diese Luft, dieser schöne blaue letzte Tag draußen den wir ganz bewusst verpassen. Ich kann einfach nicht aufstehen. Mir fehlt die Kraft zum Essen und zum Trinken. Wie gemein, genau darin wäre ja die neue Kraft. Ich bleibe einfach sitzen, mein Körper leidet, mein Geist fliegt. Sie spielen diesen einen Track zum zweiten mal. Dieser Tag ist perfekt. Man stelle sich vor ich saß den ganzen Tag auf diesem Sofa und spät Abends schaffe ich es auf das andere Sofa welches weniger als zwei Meter entfernt steht. Der Gedanke ob es vielleicht bequemer ist hat mich verrückt gemacht. Und das mein zukünftiger Mitbewohner den ganzen Tag auf dem bessern Sofa saß entfachte irgendwann die Energie mich rüberzuschleppen. Das Sofa war in der Tat viel bequemer, aber in diesem Moment hätte ich vor Freude weinen können. Es war nicht das kurzfristige aufatmen meines Körpers der dankbar war. Nein ich hatte diesen Track nicht nur verstanden sondern auch gefühlt. Dieser Tag war perfekt, weil er nicht perfekt war. Er war besser als perfekt. Perfekt wäre das was ich vorhin mit quantitativer Bedürfnisbefriedigung beschrieben habe. 24 halt. Ich hatte gefühlt das es noch was Krasseres gibt. Ich kenne immer noch keinen Namen dafür. Es ist das was nicht perfekt, aber besser als perfekt ist. Harmonie klingt schwul und durch Esoterikfreaks und Yogalehrer vergewaltigt. Nein das was ich meine ist halt einfach Dreißigundsechs.


Scheiße nur das ich grad im Zug in die andere Richtung saß. Naja die beste Sache mit etwas aufzuhören ist immer, es ins extrem zu steigern bis es plätzt. Genau das mach ich jetzt mal in China. Guten Flug Rice. Er wird 36 Stunden dauern.

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