Mein Beitrag für die Gesichter der Nachhaltigkeit
1.
Entstehung der Nachhaltigkeitsampel
WeGreen ist 2007 als Forschungsprojekt entstanden, um das
Phänomen des „Attitude-Behaviour-Gaps“ im Konsumentenverhalten näher zu
untersuchen und Strategien zur Überwindung der Wahrnehmungs- und
Verhaltenslücke zu entwickeln. Die Absichtserklärungen zum nachhaltigen Konsum
und das tatsächliche Kaufverhalten der Verbraucher divergieren auch im Jahr
2012 noch beträchtlich.
Hintergrund der Geburt von WeGreen war die Erkenntnis, dass
den Konsumenten die nötigen Informationen zur Umsetzung ihrer Wert- und
Moralvorstellungen nur unzureichend zur Verfügung stehen, weil es ihnen an
entsprechenden Werkzeugen und Hilfsmitteln zur Informationsbeschaffung mangelt.
Es wurde ein Tool entwickelt, das dem Konsumenten ermöglicht, sein
Informationsdefizit zu verringern und damit sein Konsumverhalten seinen Wert-
und Moralvorstellungen anzunähern: Die Nachhaltigkeitsampel.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Entstehung der
Nachhaltigkeitsampel, berichtet über die Schwierigkeiten der praktischen Umsetzung
und gibt einen Einblick in die Erfolgsgeschichte der ersten grünen Suchmaschine
(in Deutschland).
Vor gut zwanzig Jahren hat das Institut für
Markt-Umwelt-Gesellschaft e. V.
(imug) in Hannover, rund um den Lehrstuhl von Ursula Hansen, den
Unternehmenstester realisiert (Hansen/Lübke/Schoenheit 1992). Es handelt sich
um einen Ratgeber für Konsumenten, der auf ökologische, soziale und ethische
Aspekte bei ihrer Kaufentscheidung achtet. Der Unternehmenstester sollte eine
Art Stiftung Warentest der Nachhaltigkeit werden und wurde für die Branchen
Lebensmittel und Kosmetik veröffentlicht. Vorbilder dieses Ratgebers waren
Veröffentlichungen aus den USA und England, die auf den Ergebnissen zahlreicher
Studien basierten und auf ein hohes Informationsbedürfnis der Konsumenten aufmerksam machten. Seitdem im
Jahr 2005 der Modebegriff LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) von
der Marketingwelt aufgegriffen wurde, wurden zahllose Studien erstellt, die auf
einen Zusammenhang zwischen Aspekten der Nachhaltigkeit und der
Kaufentscheidung des Konsumenten hinwiesen (vgl. Ray/Anderson 2000). Jedoch
liegen die Marktanteile von nachhaltigen Produkten selbst in
Vorreiterindustrien, wie z.B. dem Ökologischen Landbau, selten über der
10%-Marke. Die Wissenschaft hat für diese stark auseinander klaffende Lücke zwischen
Moraleinstellungen und tatsächlichem Kaufverhalten zwar diverse Erklärungsversuche
geliefert, aber noch keinen Hauptgrund bewiesen (vgl. Balderjahn 2004). Übersteigt
der Kauf höherpreisiger Produkte das Budget vieler Verbraucher? Werden mit
nachhaltigen und ökologisch einwandfreien Produkten noch immer negative Eigenschaften
(Qualität, Haltbarkeit etc.) assoziiert oder spaltet sich eine Kluft zwischen
dem Angebot an nachhaltigen Produkten und den Wünschen der Verbraucher? Ein
einfacher Grund für den „Attitude-Behaviour-Gap“ könnte auch die schlichte Bequemlichkeit
von Konsumenten bei der Informationsbeschaffung bzw. Kaufhandlung sein. An
diesen Punkten setzt das Konzept von WeGreen an (vgl. Eck 2010). Die simple
These lautete: Je geringer die Informationsbeschaffungskosten, desto bessere (und
nachhaltigere) Kaufentscheidungen können Konsumenten treffen. WeGreen sollte
hierfür den quantitativen Beweis darstellen. Eine Nachhaltigkeitsampel für Unternehmen,
Marken und Produkte sollte so einfach und verständlich wie möglich als
Kaufentscheidungshilfe dienen.
2.
Umsetzung der Nachhaltigkeitsampel
Bei der Realisierung von WeGreen waren zwei Dinge essentiell.
Zum einen eine fundierte, sachliche, breite und gute Informationsbasis und zum
anderen ein konsumentenfreundliches Design. Relevante Informationen sind für
die Kaufentscheidung nutzlos, wenn sie von den Konsumenten nicht wahrgenommen
werden. Im Bereich der Nachhaltigkeitsinformationen herrscht dabei eine
paradoxe Situation: Es gibt zwar einerseits ein extrem hohes Informationsbedürfnis
der Konsumenten und andererseits viele Unternehmen, die umfangreiche Informationen
über die Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Unternehmenspraktiken bereitstellen (vgl.
Schrader 2008). Jedoch fehlt es an Schnittstellen zwischen diesen
Informationsblöcken aufgrund von strukturellen Problemen der
Kommunikationsbranche. Die Werbewirtschaft hat sich dem Nachhaltigkeitsthema
zunächst geöffnet, indem es die Nachhaltigkeit von Produkten und
Dienstleistungen als neues Differenzierungsmerkmal herausstellte.
Nachhaltigkeit als Instrument des Marketings hat aber nicht funktioniert (vgl. Schmidt
2010). Die Werbewirtschaft konnte mit ihren eingefahrenen Methoden und
Werkzeugen ein Grundgesetz nicht aushebeln: “To be ethical is profitable: but
to be ethical because it is profitable is not ethical” (Koestenbaum 1987).
Es mangelt an einer Plattform, die als Geschäftskonzept unabhängig
und objektiv sein muss. Ähnliches ist bereits durch das Internet in anderen
Bereichen (Preistransparenz und Produkt- und Qualitätseigenschaften) möglich
geworden. Es haben sich Preissuchmaschinen wie billiger.de oder günstiger.de am
Markt etabliert und der Konsument kann sich jederzeit unabhängig über die
Preise eines Produktes informieren. Auch
Bewertungsportale, die die Qualität von Produkten (ciao.de) oder Dienstleistungen
(qype.de) öffentlich machen, sind am Markt erfolgreich und werden durch den
Verbraucher intensiv genutzt. Der Erfolg dieser Bewertungsportale hängt
sicherlich damit zusammen, dass sie gemäß dem Prinzip der radikalen Transparenz
auch schlechte Bewertungen dem Verbraucher zugänglich machen. Einzelbewertungen
der Produkte sind zwar immer subjektiv geprägt, die Summe der Bewertungen
ergibt aber oft ein Gesamturteil, das dem Urteil unabhängiger Produkttester
(Stiftung Warentest) oft sehr nahe kommt. All diese Portale sorgen für eine
bessere Transparenz am Markt.
WeGreen möchte dieses Prinzip nun auf das Attribut
Nachhaltigkeit ausweiten. Bei Preissuchmaschinen wird häufig nach einem
aufsteigenden Preis sortiert. Bewertungsportale arbeiten mit Noten oder Sternen.
WeGreen vergibt dagegen für jedes Produkt und Unternehmen sowie jeden Job oder
Ort eine individuelle Nachhaltigkeitsampel. Grün symbolisiert dabei eine gute
Bewertung, rot eine schlechte und gelb steht für eine mittelmäßige Benotung.
Sucht ein Konsument bspw. nach Schokolade, werden ihm die nachhaltigsten
Anbieter und Produkte ganz oben in der Trefferleiste angezeigt.
Die Bewertung der Nachhaltigkeit basiert dabei auf einem Algorithmus,
der eine Vielzahl von Eigenschaften und Attributen berücksichtigt. So werden
auf Produktebene über 400 Nachhaltigkeitssiegel und weitere 100 Eigenschaften,
wie etwa „vegan“, „gentechnikfrei“ oder „aus Recyclingmaterial hergestellt“,
berücksichtigt. Auf Unternehmensebene werden über 80.000 Bewertungen zur
sozialen und ökologischen Unternehmensführung berücksichtigt, die von über 50
renommierten Bewertungsinstitutionen zusammengetragen werden. Darunter sind
sowohl Ratingagenturen wie EIRIS, Rank a Brand, RepRisk als auch zivilgesellschaftliche
Organisationen wie Greenpeace, die Verbraucher Initiative und die Stiftung
Warentest. Die Nachhaltigkeitsampel ist auf den ersten Blick einfach verständlich
und liefert auf den zweiten und dritten Blick detaillierte Informationen über Arbeitsbedingungen,
Rohstoffverbrauch und CO2-Bilanzen der Unternehmen. Dabei darf der
Konsument durch diese Informationstiefe nicht abgeschreckt werden (vgl. Goleman
2009). Um den Nachhaltigkeitsgedanken in den Massenmarkt zu integrieren, muss
aus den Informationsbeschaffungskosten ein Informationsbeschaffungsnutzen
werden. Und zunehmend macht es den Konsumenten Spaß, sich zu informieren, da
sie die Jagd zum nächsten Schnäppchen, dem besten Produkt oder einer tollen
grünen Alternative als positive Herausforderung sehen (vgl. Goleman 2009). Auch
das in derartigen Informationsportalen enthaltene Machtpotential beflügelt
Konsumenten positiv. Durch Transparenzportale wird die Macht dezentralisiert,
jeder bekommt eine Stimme und vor allem die Möglichkeit, etwas zu verändern.
WeGreen befähigt seine Nutzer nicht nur sich zu informieren, sondern auch zu
partizipieren, mit zu bewerten und über die Nachhaltigkeit von Produkten und
Unternehmen gemeinsam zu diskutieren. Unter diesen Prämissen wurde WeGreen
entwickelt und zu einer vollwertigen Internet-Suchmaschine ausgebaut. Es ist
sowohl eine Produktsuchmaschine, in der über sieben Millionen Produkte bewertet
sind, als auch eine Standardsuchmaschine für den täglichen Gebrauch. Inzwischen
können auch grüne Orte, grüne Jobs, News, Blogs und Webseiten gefunden werden.
3.
Der Erfolg der Nachhaltigkeitsampel
2010 ging WeGreen in einer ersten Version live, woraufhin
sich die Nachhaltigkeitsampel rasch verbreitete. Konsumenten können sich direkt
auf der Seite http://wegreen.de informieren
oder einen der Dienste nutzen, die die Nachhaltigkeitsampel integriert haben.
Bereits 2010 hat die mobile Smartphone-Applikation barcoo die
Nachhaltigkeitsampel in sein Informationsangebot aufgenommen. Konsumenten ist
es möglich, mithilfe dieser Handy-Applikation im Supermarkt oder zu Hause den
Barcode von Produkten zu fotografieren und dann nicht nur Preisvergleiche und Testberichte,
sondern auch Gesundheits- und Nachhaltigkeitsinformationen zu bekommen (vgl.
Grothe 2012).
Die Nachhaltigkeitsinformationen werden von WeGreen
bereitgestellt. Ein mobiler Scan eines Nutellaglases führt gegenwärtig z.B. zu
der Anzeige einer roten Ampel für Ferrero (CO2-Emissionen,
Umweltschutz, Fairer Handel). Über diese und andere Dienste werden pro Monat
mehrere Millionen Nachhaltigkeitsampeln von potentiellen Konsumenten angesehen.
Die Sichtbarkeit dieser Informationen erhöht bereits den Druck auf die
Konsumgüterhersteller. Denn die Marketingabteilungen sind stets darauf bedacht,
ihr wertvoll aufgebautes Markenimage zu verteidigen. Transparenzmedien können
dabei zum Fluch oder Segen für das betroffene Unternehmen werden, je nachdem,
wie gut und nachhaltig das Unternehmen wirklich handelt. Doch um den
ursprünglich angetretenen Beweis zu vollbringen, dass informierte Konsumenten
auch tatsächlich nachhaltiger handeln, fehlt noch ein entscheidender Schritt:
Der Kaufvorgang.
Aus diesem Grund ermöglicht WeGreen dem Verbraucher seit
März 2012 in einer Shopping Suche in über sieben Millionen Produkten zu suchen
und diese Produkte dann direkt in einem Online-Shop zu erwerben. In der WeGreen
Shopping Suche können Produkte entweder nach ihrem Preis oder ihrer
Nachhaltigkeitsperformance sortiert werden. Das Prinzip der totalen Transparenz
ist somit erfüllt. Derzeit kann noch keine endgültige Aussage getroffen werden,
ob der informierte Verbraucher auch nachhaltiger konsumiert. Doch die Vermutung
liegt nahe, dass Konsumenten, die Produkte sehen, deren Preis, Qualität und
Nachhaltigkeitsperformance transparent sind, eine fundiertere Kaufentscheidung treffen. Wenn Qualität und Preis auf
einem ähnlichen Niveau sind, wird bei der Kaufentscheidung (häufig) die grüne
Alternative bevorzugt (vgl. Wenzel et al. 2007; Müller-Friemauth 2009).
Anhand des Datenbestandes von WeGreen kann man nachweisen,
dass es im Gegensatz zu vielen Vermutungen keine Korrelation zwischen Preis und
Nachhaltigkeit gibt: Die grünen Alternativen sind nicht zwangsläufig teurer als
konventionelle Produkte.
Seit der Gründung von WeGreen wächst die Nutzerzahl
kontinuierlich. Inzwischen erreicht WeGreen ca. 300.000 Pageimpressions
(Klicks) pro Monat. Primär wird nach Produkten aus dem Konsumgüterbereich
gesucht.Unternehmen reagieren umso stärker, wenn das Thema Nachhaltigkeit nicht
nur indirekt auf ihre Marke wirkt, sondern direkt auf ihre Verkaufszahlen. Mehrere Konsumgütermarken und Handelskonzerne
suchten bereits das Gespräch mit WeGreen, wobei stets auf die Unabhängigkeit
und Sachlichkeit der Bewertung hingewiesen wird. Die Bewertung von WeGreen
basiert ausschließlich auf unabhängigen Quellen und kann nicht durch das betroffene
Unternehmen beeinflusst werden. Ob Konsumenten und/oder Unternehmen in diesem
Fall aus moralischen oder eigennützigen Argumenten heraus agieren spielt für
WeGreen keine Rolle. Es wird jedoch bei beiden Parteien immer eine Mischung aus
beiden Beweggründen sein. Doch sobald ein nachhaltiges Unternehmen einen dauerhaften
ökonomischen Erfolg nachweisen kann, setzt sich ein positiver Kreislauf in
Gang. WeGreen möchte ein Werkzeug sein, das dem Markt hilft, sich selbst zu
helfen, indem es Transparenz über Unternehmen und Produkte schafft. Zu einem
großen Teil haben wir dieses Ziel bereits erreicht. Wenn nun auch WeGreen
selbst ökonomisch nachhaltig und erfolgreich agiert, könnte dies ein Beweis für
das Prinzip „Nachhaltigkeit“ als universelles Wirtschaftskonzept sein.
Literaturverzeichnis
Balderjahn, I. (2004): Nachhaltiges Marketing-Management: Möglichkeiten einer umwelt- und
sozialverträglichen Unternehmenspolitik, Stuttgart: Lucius & Lucius.
Eck, K. (2010): Transparent und glaubwürdig: Das optimale Online Reputation Management
für Unternehmen, München: Redline.
Goleman, D. (2009): Ökologische Intelligenz: Wer umdenkt, lebt besser, New York,
München: Droemer/Knaur.
Grothe, A. (Hrsg.) (2012): Nachhaltiges Wirtschaften für KMU: Ansätze zur
Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten, München: oekom.
Hansen, U./Lübke, V./Schoenheit, I.
(1992): Der Unternehmenstest als Informationsinstrument für ein
sozial-ökologisch verantwortliches Wirtschaften, Hannover: imug.
Koestenbaum, P. (1987): The Heart of
Business: Ethics, Power and Philosophy, San Francisco: Saybrook Publishing.
Müller-Friemauth, F. (2009): LOHAS:
Mehr als Green-Glamour. Eine soziokulturelle Segmentierung. Eine Studie von
Sinus Sociovision und KarmaKonsum, Frankfurt a.M.: KarmaKonsum.
Ray, P. H./Anderson, S. R. (2000): The Cultural Creatives: How
50 million people are changing the world, New York: The Rivers Press.
Schmidt, M. (2010): Image is Not Made by
Image Campaigns, Vortrag von Matthias Schmidt
(chief creative officer, Scholz & Friends Group, Germany) auf der
4th International Conference on Corporate Social Responsibility September 23rd,
Humboldt-Universität zu Berlin.
Schrader, U. (2008): Transparenz über Corporate Social Responsibility (CSR) als
Voraussetzung für einen Wandel zu nachhaltigerem Konsum, in: Lange, H., (Hrsg.):
Nachhaltigkeit als radikaler Wandel: Die Quadratur des Kreises? Wiesbaden: VS
Verlag.
Wenzel, E./Kirig, A./Rauch, C. (2007): Zielgruppe LOHAS. Wie der grüne Lifestyle
die Märkte erobert, Kelkheim: Zukunftsinstitut.
* MauriceStanszus, WeGreen UG/Berlin School of Economics, E-Mail: m.stanszus@wegreen.de,
Forschungsschwerpunkte: CSR, Nachhaltigkeits-Marketing, Social
Entrepreneurship.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen